ÜBERSICHT
WIR ÜBER UNS
ANGEBOT
INSTITUT
FIGURENTHEATERKOLLEG
AUSBILDUNG/SCHULE
UNIVERSITÄT
FIDENA
1977, DESASTER
1978, AUFBRUCH/WENDE
1979, 23. FIDENA
1980, 24. FIDENA
1981, 25. FIDENA
1982, 26. FIDENA
1983, 27. FIDENA
1984, BURMA
1985, 29. FIDENA
1986, CHENGDU
1987, VILNIUS
1988, 32. FIDENA
1989, 33. FIDENA
1990, 34, TOMSK
ARCHIV
KULTURPREISE
AGENTUR
VERLAG
INTERESSANTE LINKS
KONTAKT
IMPRESSUM




 

 

       1977 - DESASTER

 

Nun musste ich für den Mai 1977 ein internationales Festival machen, von Beginn an zur Hauptsache für das erwachsene Publikum. Bücher mit entsprechenden Kochrezepten gab es nicht, Festivalmacher, die ich hätte fragen können, kannte ich nicht und gab es wohl auch nicht, immerhin, es gab die Beamten der Bochumer Kulturverwaltung, die hatten die vorherigen fast zwanzig Festivals irgendwie mitbekommen und waren zu befragen.

Es kam hier und da zwischen den Wölkchen aus der Pfeife auch mal ein halber Satz vorbei, aber die Verantwortung läge bei mir. Na ja, was auch sonst, der Kopf musste ganz hingehalten werden. Ich lernte meine neue Arbeit verhältnismäßig sehr schnell, blitzschnell, nachdem ich alle Fehler machte, die ein Anfänger machen kann, ein Profi hätte sie nicht alle planen können.

Die Stadt hatte viele Schulen, und viele hatten eine Aula mit bespielbarer Bühne. Warum nicht im gesamten Stadtgebiet, so kam es aus einem Wölkchen, Aufführungen anbieten? Ja warum nicht? Die Schulleiter und, noch wichtiger, die Hausmeister, denen ausserplan-mäßige Arbeit zugemutet wurde, spielten mit, alle. Keine Aula hatte eine Drehbühne, kein Problem, aber Vorhänge in den Kulissen waren vorhanden, manchmal sogar Umkleideräume oder auch mal eine Hinterbühne, und alle hatten einen ebenen und waagerechten Holzfußboden. Bis auf eine, hier fiel der Boden von hinten nach vorn ab, der Eimer Wasser, den man hinten ausgoss, kam an der Rampe wieder an, alle Versatzstücke drohten nach vorn wegzukippen. Der Architekt muss wahnsinnig gewesen sein.

Bis zu acht Aufführungen am Tag, davon bis zu vier zur selben Zeit, organisatorisch alles machbar, und die Eintrittspreise zwischen acht und zwölf DM. Dass ich hier meine größten Fehler bereits gemacht hatte, kam mir wirklich nicht in den Sinn, denn logischerweise gab es dieses Festival - es hieß Festwoche - jährlich zur etwa gleichen Zeit in dieser Stadt.

Zudem hatte ich eine Werbekampagne losgetreten, wie sie diese Stadt noch niemals gesehen hatte. Ich hatte Pressemappen mit viel Bildmaterial zusammengestellt, dafür lobten mich die Journalisten, hätten sie noch nie gesehen. Ich hatte am Vortag des Festivalbeginns zu einer Pressekonferenz mit kaltem Buffet und Sekt in das Hauptbahnhof-restaurant geladen; sieben Journalisten kamen, zwei mit Tonbandgerät, einer mit Kamera plus Assistent. Einer der zwei Lokaljournalisten sagte, er hätte zum Festival noch nie so viel Presse gesehen, ich dachte, er macht einen Witz. Sekt und Schnittchen gab es dann eben für die Festivalmitarbeiter.

Und ich hatte von einem Künstler ein Festivalplakat machen und in hoher Auflage drucken lassen. Es wurde von der zuständigen Werbefirma eine Woche vor Festivalbeginn auf die üblichen Flächen inklusive Litfasssäulen geklebt und - meine Erfindung, zumindest hatte ich das nie gesehen - ich ließ in etwa zwei Metern Höhe die Plakate auf starren Trägern in Staffeln von drei, fünf oder sieben Stück hintereinander an die Straßenbäume hängen, an den Ausfallstraßen, stadtauswärts, stadteinwärts und im Zentrum. Bochum hat unglaublich viele Straßen-bäume, da muss nach dem Krieg ein weitsichtiger Mensch beim Straßen- und Grünflächenamt gewirkt haben. Es war nicht zu übersehen, da war was los. Nur was? Das Plakat gab seine Informationen erst dann preis, als man unmitttelbar davor stand, es hatte keine informative Fernwirkung, ein Flop, und teuer.

Es bleibt mir unbegreiflich, weshalb ich das Festival an einem Dienstag beginnen ließ. Montag bis Donnerstag sind nun mal die Tage der Berufstätigen mit ihrem abendlichen Anspruch auf das Pantoffelkino, da hat man nicht mehr die Kraft für einen Theaterbesuch, es sei denn ... man ist ein Festivalfan. Ich war offensichtlich davon überzeugt, dass diese aus der Stadt und aus dem Ruhrgebiet die Aufführungen stürmen würden.

Am einfachsten war noch die Aufstellung des Finanzplanes. Die Zuschüsse waren - immer unter dem Vorbehalt der mindestens drei  (Bund, Land, Stadt) parlamentarischen Zustimmungen - zugesagt. Und sie kamen tatsächlich, wenn auch erst nach Beendigung des Festivals als zumindest alle Kosten für die Bühnen beglichen waren. Für mich eine gewöhnungsbedürftige Übung, da ich als Nichtkaufmann gewohnt war, jenes Geld auszugeben, das ich hatte und nicht jenes, welches ich - hoffentlich - haben werde. Zudem hatte ich auf der Einnahmenseite die Erlöse aus den verkauften Eintrittskarten schön und satt angegeben, ganz konsequent den vielen geplanten Auffürungen zufolge, aber leider ein großer Fehler. Auf der Ausgabenseite standen vor allem die Aufwendugen für die Bühnen, weitere Honorare, Sachkosten für Plakat, Programmheft, Eintrittskarten, Technik und Personalkosten, die sich sehr in Grenzen hielten, da nur zusätzliche Zeitkräfte bezahlt werden mussten, die Institutsmitarbeiter waren bereits im allgemeinen Institutshaushalt untergebracht.

Es wird den Gesprächen mit Jan Dvorak geschuldet sein, dass ich von Beginn an alle Honorare in bar auszahlte und zwar unmittelbar nach Ende der Aufführung ohne auch nur eine einzige Ausnahme in fünfzehn Jahren. Während eines Festivals lief ich stets mit viel Geld in der Tasche rum. Die Verpflegungsspesen wurden in voller Höhe bei Ankunft ausgezahlt, ebenso die Reisekosten, bei Ostblockbühnen ab Eintritt in die Bundesrepublik, für die Unterkünfte, stets mit Frühstück, sorgten wir. Für die Bühnen aus dem Ostblock hatte diese Regelung den unschätzbaren Vorteil, dass sie Devisen in die Hand bekamen, nicht nur der Bühnenleiter für sein Theater, sondern jeder einzelne Mitreisende, neben den Theaterleuten gab es auch politische Aufpasser, über die Spesen. Ob er diese dann in der BRD für Verpflegung ausgab oder diese aus seiner Heimat mitgebracht hatte, blieb seine Sache.

Ebenfalls den Gesprächen mit Jan Dvorak verdanke ich es, den Schwerpunkt des Festivals auf ein einziges Land zu legen, auf ein Ostblockland. Das war neu und damit werbewirksam. Jan schlug mir vier städtische Figurentheater aus der Slowakei vor, Zilina, Kosice, Banska-Bystrica und Bratislawa, letztere Stadt, vormals Pressburg, war mir immerhin bekannt. Und nun gesellte sich zu meinen verschiedenen Fehlern ein Superei, mein Festival war von heute auf morgen ein politisches Festival geworden, die Charta 77 wurde veröffentlicht. Mit dem markanten Schwerpunkt CSSR unterstütze ich die Dissidenten-bewegung dieses Landes, die eingeladenen Bühnen würden keine Ausreisegenehmigung erhalten. Die Verträge waren unterzeichnet, die Gelder virtuell ausgegeben. Politische Interventionen hagelte es von mehreren Seiten, was mir sehr gegen den Strich ging. Meine Unterschrift gilt und bleibt bestehen, und wer eingeladen wird, bestimme ich, allein. Es musste eine Bühne aus einem anderen Ostblockland zusätzlich eingeladen werden, damit der Eindruck der allzu prominenten Hervorhebung der CSSR verwischt werden konnte, Kontakte hatte ich keine, es blieb ein Risikospiel, würden sie kommen? Von Zilina selbst kam der Vorschlag, das Theater von der anderen Bergseite einzuladen. Polen also, Bielsko-Biala. Das kleine Bergflüsschen, das diese Stadt teilt, war einmal die südlichste Ostgrenze eines Deutschen Reiches.

Alle kamen, pünktlich, mit eigenem Theaterbus. Das immerhin klappte schon mal. Wie viele der Theaterleute würden bei uns politisches Asyl beantragen und wann, hoffentlich erst zum Ende der Tournee? Zu meiner kräftigen Überraschung niemand und niemals. Theaterleute waren im kommunistischen System offensichtlich gut aufgehoben, zumindest finanziell.

Als nach rund 1000 Kilometern der Bus aus Bielsko-Biala eintraf, entstieg ihm zuerst eine stattliche, barocke Dame, blond und rief laut: Wo ist der Herr Direktor? Ich hatte mich, wie immer, im Hintergrund gehalten, war als Direktor nicht zu erkennen, hatte das Aussehen einer schwächlichen studentischen Hilfskraft, pirschte mich langsam seitlich an die Dame heran: Ich bin der Direktor. Sie drehte sich um und brach lauthals ein Gelächter los, das den faulen griechischen Götterhimmel aufschrecken ließ. Da war alles drin, die Erleichterung, nach zweitägiger Fahrt mit Übernachtung im Bus angekommen zu sein, das Erstaunen über die Differenz  von meiner sehr jugendlichen und mickrigen Erscheinung zu ihrer Vorstellung von einem Direktor, der gesetzten Alters und groß zu sein hatte, bis hin zur Angst, kann das hier was werden?

Wie berechtigt gerade diese unausgesprochene Frage war, sollte ich dann sehr schnell erfahren. Die Finanzen für die Bühnen stimmten, da hielt ich die Verträge peinlich genau ein, und das stand für die Ostblockbühnen an erster Stelle. Die Aufführungen im Stadtzentrum waren gut bis sehr gut besucht, jene vielen in den Stadtteilen jedoch, zum Glück stand in den Verträgen nichts von einer garantierten Zuschauerzahl, arg unterbesucht. Wenn auf der Bühne fünfzehn Künstler agieren, und es sitzen im Zuschauerraum mit 350 Plätzen sieben Personen, eine davon ich, dann ist das für den verantwortlichen Veranstalter Waterloo und Weltuntergang zusammen, mehr, der ultimative Schlag in den Unterleib. Nur nichts anmerken lassen. Die Künstler waren Profis und konnten das als eine Art Sichtvorstellung oder Durchlaufprobe als Reihen-veranstaltung behandeln, für mich aber war das ein manifestiertes Versagen teuflischen Ausmaßes. Wo waren die Zuschauer dieser Stadt? Was hatte hier in den vergangenen zwanzig Jahren stattgefunden? Ich habe selten so schnell und nachhaltig gelernt.

Ein weiterer unverzeihlicher Fehler hatte folgenschwere Auswirkungen, mein Unterbewusstsein musste den Qualitätssprung in die Wirklichkeit elegant gemeistert haben. Für die drei lokalen Bühnen hatte ich je eine Aufführung vereinbart, damit mir zumindest nicht von ihnen der Vorwurf einer Geringschätzung oder eines Hochmutes kredenzt werden konnte. Leider vergaß ich die Aufführung einer der drei Bühnen im Programmheft auszudrucken, ihr Leiter war prominentes Mitglied im Roserschen Berufsverband - und später Rosers Nachfolger - und hatte sich nach dem Tod Wortelmanns wohl für eine höhere Aufgabe im Institut vorbereitet. Bei Barauszahlung des Honorars nach der Aufführung wollte er mich - nicht ganz zu Unrecht - zusammenschlagen, der Faustschlag fror auf halber Strecke ein.

Finanziell war das Festival ein kräftiges Minusspiel. Hätte ich die Eintrittspreise halb so hoch angesetzt, wäre hier der Verlust durch die nicht verkauften Eintrittskarten auch nur halb so groß gewesen. In Zukunft also aus diesem einfachen Grunde nur noch ausgesprochen zivile Preise. Und die zusätzliche Einladung der Bühne aus Polen schlug natürlich voll ins Kontor. Nach allen Haushaltszaubereien, welche Kosten konnten außerhalb des Festivalbudgets versteckt werden, blieb ein Minus von gut 5000.- DM, was mir fürchterlich peinlich war, meinen Vorstandskollegen jedoch nur ein müdes Lächeln entlockte, sie mussten anderes gewohnt gewesen sein.

Künstlerisch hätte mich das Festival positiv überraschen sollen, was es nicht tat. Keine der eingeladenen Inszenierungen hatte ich vorher besichtigen können, was sich als weiterer fataler Fehler erwies, denn nur der persönliche Augenschein kann über künstlerische Qualität entscheiden. Nur sehr selten war auf das Urteil einer anderen Person Verlass, nur langsam konnte ich hier ein kleines Netzwerk aufbauen. Peggy Francis aus London und Liliane Morin aus Paris, beide ehemalige Theaterschauspielerinnen, mit einem untrüglichen Qualitätsbewusstsein und vor allem unabhängig, sie mussten nicht Lobbyisten für irgendwelche Vereinigungen oder Nationen sein, beide hatten ihre Begeisterung für das Figurentheater entdeckt, beide gaben mir Ratschläge, auf die Verlass war.

Die Bühnen aus dem Ostblock spielten alle handwerklich gut bis perfekt, manchmal sogar witzig und schmissig wie Banska-Bystrica mit Botafogo, sie alle hatten die technische Ausführung beruflich erlernt, eine künstlerische Dimension fehlte fast immer. Zum Glück hatte ich zwei Inszenierungen eingeladen, die meine Ansprüche erfüllten: Erwin Piplitz mit PupoDrom aus Wien und Henk und Ans Boerwinkel mit Triangel aus den Niederlanden, die mit diesem Auftritt ihre internationale Karriere begannen. Wenn mein Festival nicht im technischen Glanz und künstlerischer Sterilität ersticken, also Kunsthandwerk werden sollte, dann war für die Zukunft eine erhebliche Reisetätigkeit gefordert, um Jahr für Jahr die Rosinen der internationalen Figurentheater-Kunst zu finden und zu präsentieren. Da ich unmöglich jede einzelne Bühne mit ihrer Inszenierung für das erwachsene Publikum besuchen konnte, musste ich mich auf Qualitätsfestivals umsehen, und von ihnen gab es nicht viele.

 

DAS PROGRAMMHEFT

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

DEUTSCHES INSTITUT FÜR PUPPENSPIEL